Halle: Tödliche Waffe aus dem 3-D-Drucker - WELT

2022-07-02 04:03:49 By : Mr. Ted Tang

Stephan B. wollte in der Synagoge in Halle ein Massaker anrichten. Eine gute gesicherte Tür und ein Defekt seiner Waffe verhindert eine größere Opferzahl. Das ist bislang über den Täter bekannt.

A ls der Attentäter von Halle seine Bluttat beging, stand sein „Manifest“ bereits einige Stunden online. Mit dem Upload wollte Stephan Balliet nicht zuletzt sich selbst motivieren, denn danach gab es für ihn, so schrieb er selbst, kein Zurück mehr.

Die Inhalte des „Manifests“ zeugen vor allem vom Größenwahn des Mannes, sie sind nicht weiter lesenswert. Doch die Fotos dürften die Ermittler aufschrecken lassen, denn der Täter zeigte auf ihnen sein selbst gebasteltes Waffenarsenal.

Das erklärte Ziel: Nachahmer motivieren und zeigen, dass auch selbst gebastelte Waffen tödlich sein können. Die Waffen versagten zwar nach wenigen Schüssen, ihren furchtbaren Zweck erfüllten sie dennoch. Wie aber kam der Täter an das Material?

Die in dem „Manifest“ abgebildeten Waffen sind größtenteils selbst gebaut – entweder aus Blech und Stahl gefräst und geschweißt oder mit einem 3-D-Drucker gedruckt. Solche Pläne lassen sich nach kurzer Suche auf diversen Torrent- sowie Darknet-Seiten finden, die hier jedoch ungenannt bleiben sollen.

Die erste im „Manifest“ gelistete Waffe war eine aus Blech und Stahlteilen zusammengeschraubte Maschinenpistole, die ursprünglich von einem englischen Bastler entworfen wurde, der damit für den freien Besitz von Feuerwaffen demonstrieren wollte. Der Bastler kam mehrfach ins Gefängnis, sein Entwurf versagte in Halle.

Zudem nutzte der Täter eine sogenannte Slam-Bang-Shotgun. Flinten dieses Typs sind die wohl simpelsten Feuerwaffen überhaupt. Sie bestehen schlicht aus zwei Rohren, die ineinandergeschoben einen Lauf und eine Kammer für eine Schrotpatrone ergeben. Werden beide Rohre hart gegeneinander bewegt, wird die Patrone mit dem Boden auf eine Schraube am Ende des einen Rohres geschlagen und dadurch ausgelöst. Für Waffen dieser Bauart braucht es nicht einmal eine Bauanleitung.

Die Waffen aus dem 3-D-Drucker jedoch dürften deutlich mehr Aufmerksamkeit erregen: Der Täter aus Halle druckte sich eine Maschinenpistole aus Plastikteilen teilweise selbst. Die Pläne dafür stehen im Internet. Der Täter selbst hat sie für Nachahmer noch einmal auf denselben Server hochgeladen, auf dem sich auch sein „Manifest“ befand. 3-D-Druck-Waffen können gefährlicher sein als andere selbst gebastelten Konstrukte, denn moderne 3-D-Drucker für wenige Hundert Euro können Teile auf Zehntel- bis Hundertstelmillimeter genau im Schichtdruckverfahren fertigen.

Die Teile sind also deutlich genauer gefertigt als alles, was ein Laie selbst schweißen oder biegen kann. Nur computergesteuerte Metallfräsen für mehrere Tausend Euro arbeiten noch genauer. Allerdings halten die Kunststoffe dem Explosionsdruck einer Patrone nicht stand, für Kammer und Lauf sind Metallteile notwendig.

Waffen, die zumindest teilweise aus dem 3-D-Drucker stammen, schießen inzwischen erschreckend treffsicher. Insbesondere Kombinationen aus Metall- und 3-D-Druck-Teilen sind relativ hitzebeständig. Zudem lässt sich Zubehör wie etwa Gewehrmagazine mit hoher Kapazität oder sogenannte Bumpstocks – Schulterstützen für schnelle Schussfolgen –, deren Erwerb und Besitz in Deutschland selbst Jägern oder Sportschützen verboten ist, im 3-D-Drucker nachbauen, wie die Tat von Halle beweist. Der Täter setzte Metallwaffen mit Plastikschulterstützen und Magazine aus dem Drucker ein.

Solche Drucker für mittelgroße Bauteile sind schon ab 1000 Euro zu haben, die Druckmaterialien lassen sich ebenfalls käuflich erwerben. Inzwischen haben mehrere Hersteller schlagfeste zähe Kunststoff-Filamente für die Drucker herausgebracht, die auch Temperaturen über 200 Grad Celsius standhalten.

Auch technisch stellt der 3-D-Druck keine große Herausforderung dar: Wer eine Waffe bauen will, muss lediglich die richtigen Pläne im Netz finden, seinen Drucker mit dem richtigen Plastikdraht füttern und die Computersoftware ihre Arbeit machen lassen.

Als US-Waffennarr und Anarchist Cody Wilson im Jahr 2013 online den „Liberator“ zeigte – eine einschüssige Handfeuerwaffe, die komplett aus Plastik gemacht werden kann –, wurden Sicherheitsbehörden weltweit auf das Problem von Waffen aus dem 3-D-Drucker aufmerksam. Wilson und seine Anhänger hatten ihre Gruppe „Defense Distributed“ geschaffen, um die freie Verbreitung ihrer Waffenbaupläne für 3-D-Drucker über Internet-Tauschbörsen zu fördern.

Stephan B. war offenbar ein Einzeltäter, der Angriff auf eine Synagoge aber längst kein Einzelfall. 1799 antisemitische Delikte gab es allein 2018. Schon länger fühlen sich Juden in Deutschland nicht mehr sicher.

Inzwischen ist Wilson in diverse Rechtsstreitigkeiten mit US-Bundesstaaten verwickelt, seine Druckpläne sind von den gängigen Plattformen im Netz verbannt. Der Besitz oder die Erstellung und Verbreitung der Pläne stehen in Deutschland jedoch bislang nicht unter Strafe. Der Politik bleiben gegen die Waffenteile aus dem Drucker dennoch nur wenige Handlungsoptionen: In Deutschland ist der private Waffenbau ohne spezielle Erlaubnis nach Paragraf 26 Waffengesetz ohnehin verboten, auch in diversen amerikanischen Bundesstaaten sind die Teile aus dem 3-D-Drucker inzwischen verbannt.

Zwar könnte die Politik den Besitz der Pläne ebenfalls bestrafen, doch davon dürften sich potenzielle Täter mit Mordgedanken nur wenig beeindrucken lassen. Der Bau der Waffen ist ohnehin strafbewehrt, die Server mit den Plänen stehen nicht in Deutschland, wie eine vorläufige Suche ergab.

Ein Ansatz gegen die Proliferation von Schusswaffen könnte eher sein, die Drucksoftware selbst auf die Erkennung der 3-D-Pläne gängiger Waffenteile zu programmieren. Würden die Hersteller der Drucker hier ansetzen, könnten die Geräte künftig beim Laden von Waffenplänen den Druck verweigern.

Ein Vorbild hierfür sind moderne Farbdrucker und Farbkopierer: Sie verweigern bereits seit Längerem die Vervielfältigung und Bearbeitung von Banknoten, um Geldfälschern das Handwerk zu erschweren.

Die WELT als ePaper: Die vollständige Ausgabe steht Ihnen bereits am Vorabend zur Verfügung – so sind Sie immer hochaktuell informiert. Weitere Informationen: http://epaper.welt.de

Der Kurz-Link dieses Artikels lautet: https://www.welt.de/201720934