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2022-09-24 06:08:03 By : Ms. Apple liu

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Früher wurde die Teezubereitung von einem Pfeifen eingeläutet, heute wird sie eher damit beendet. Jedenfalls hat der Kessel für die Herdplatte mit seinem schrillen Flöten inzwischen beinahe ausgedient, während Teesiebe aus Edelstahl immer größere Verbreitung finden. Sie sorgen für ein seltsames akustisches Phänomen: Zahlreiche Videos im Internet zeigen, wie die Utensilien beim Reinigen im Spülbecken Töne von sich geben.

Die Zufallsentdeckung ist nach kurzem Ausprobieren leicht reproduzierbar, und unter den passenden Umständen offenbaren verschiedene Fabrikate ihre Musikalität. Zum einen muss der Wasserstrahl das Metall mit einer gewissen Geschwindigkeit treffen. Diese nimmt mit der Fallhöhe zu. Bei manchen Sieben reicht der Abstand zwischen Wasserhahn und Spülbecken nicht aus, und das Kunststück gelingt lediglich im Badezimmer oder mit dem Gartenschlauch. Zum anderen tönt die gelochte Fläche nur dann, wenn sie unter einem bestimmten Winkel getroffen wird. Um den für das Pfeifen optimalen Bereich zu finden, empfiehlt es sich, das Sieb unter dem Wasserstrahl ein wenig zu heben und zu senken und dabei die Neigung zu variieren. Am besten funktioniert es, indem der Strahl den flachen Boden trifft. Im Lauf einer Reihe von Experimenten konnten mein Kollege Wilfried Suhr und ich sogar ein Sieb an der Mantelseite zum Tönen bringen.

Der relativ kräftige Ton lässt auf eine Schwingung schließen, zu der das auftreffende Wasser das Lochblech anregt. Berührt man das Metall in der Nähe des Strahls, dämpft das den Vorgang, und das Pfeifen verschwindet. An allen übrigen Stellen kann man das Sieb hingegen anfassen, ohne damit den Ton zu beeinflussen.

Was dabei genau passiert, hat Wilfried Suhr in einer 2020 veröffentlichten Arbeit zusammengefasst. Der auf die Siebfläche prallende Strahl wirkt wie ein mechanischer Schwingungserreger, der zum Beispiel eine Lautsprechermembran vibrieren lässt. Doch das Wasser strömt gleichförmig aus dem Hahn. Woher kommt der Rhythmus, mit dem es das Blech auslenken und in Schwingung versetzen könnte? Es genügt dafür nicht, dass es mit einer ganz bestimmten Geschwindigkeit auf einen passenden Abschnitt des Lochblechs auftrifft. Darüber hinaus muss ihm durch eine geeignete Wechselwirkung eine Frequenz aufgeprägt werden.

Den Taktgeber entdeckt man bei einem genaueren Blick auf die Auftreffstelle. Längs des geneigten Blechs staut sich eine Strömung auf, die teilweise durch die Löcher hindurch auf die andere Seite gelangt. Wenn man die diversen Strömungsbereiche geschickt manipuliert und den Einfluss kleiner Störungen beobachtet, findet man heraus: Die Töne werden von einem länglichen Wasserwulst unterhalb des unmittelbaren Aufpralls hervorgebracht. Dort entsteht eine zeitlich periodische Wasserbewegung – für die wiederum die regelmäßige Lochstruktur notwendige Voraussetzung ist.

Die Blechstege zwischen den Löchern spalten nämlich den Wasserstrom auf und erfüllen dabei eine ähnliche Funktion wie gespannte Saiten in einem Luftstrom. Diese lösen jeweils eine Folge paarweise entgegengesetzter Wirbel aus, eine so genannte kármánsche Wirbelstraße. Sie stoßen sich gewissermaßen vom Draht ab, woraufhin er schwingt. Wenn dabei eine seiner Eigenfrequenzen angeregt wird, gerät er in Resonanz und ruft in der umgebenden Luft periodische Verdichtungen und Verdünnungen hervor. Sie werden als Ton wahrnehmbar. Nach diesem Prinzip erklingt beispielsweise eine Äolsharfe.

Ein vergleichbares, nur wesentlich komplexeres Geschehen spielt sich beim Teesieb ab. Im Bereich des Wasserwulstes entstehen hinter den regelmäßigen metallischen Stegen gleich mehrere solcher Wirbelstraßen, die hier aus Wasserwirbeln bestehen. Sie üben in ähnlicher Weise Kräfte auf die angeströmte Fläche des Siebs aus und bringen seine Eigenschwingungen zur Resonanz. Jedes der vielen benachbarten Wirbelpaare wirkt auf dieselbe Region des Blechs zurück. Zu einer einheitlichen kollektiven Schwingung des ganzen Sieb­bereichs kommt es bloß, wenn die Wirbel sich synchron ablösen und ihre Einzelkräfte gegenseitig verstärken. Passiert das wirklich? Fotografische Untersuchungen des Strömungsfelds an einem vergrößerten und vereinfachten Modell legen nahe, dass die Wirbel angrenzender Löcher tatsächlich aneinanderkoppeln, während sie sich vom Blech entfernen.

Das Phänomen ist relativ robust gegenüber Störungen. Schwingt das durchströmte Element des Siebs in Resonanz mit der Anregungsfrequenz der Wirbel, so ändert sich daran auch dann nichts, wenn die Auftreffgeschwindigkeit des Wassers in gewissen Grenzen variiert. Das schwingende Blech rastet auf die Eigenschwingung ein. Infolge dieses »Lock-in«-Verhaltens bleibt die Tonhöhe erhalten. Abweichungen zwischen Anregungs- und Resonanzfrequenz senken allerdings die Amplitude. Die verringerte Auslenkung macht sich dann in einer entsprechend abnehmenden Lautstärke bemerkbar.

Bei einem Exemplar eines Teesiebs ist es uns durch Variation der Falldistanz des Wassers sogar gelungen, unterschiedliche Eigenschwingungen des Lochblechs in Resonanz zu versetzen und damit Pfeifgeräusche ­verschiedener diskreter Frequenzen anzuregen. Mit der Länge des Strahls wuchs die jeweilige Tonhöhe. Bei Fallhöhen zwischen zwei Tonstufen und außerhalb des Lock-in-Bereichs verstummte das Teesieb jedoch.

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Suhr, W.: Pfeiftöne vom Teefilter. Physik und Didaktik in Schule und Hochschule, 2020

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