Windows 98, Ersatzteile per Ebay: San Franciscos U-Bahn läuft auf Uralt-Technik | STERN.de

2022-09-24 06:04:53 By : Mr. Andy Huang

Zu ihrer Zeit waren sie der Stand der Technik. Von einem Unternehmen für Weltraum-Technik entworfen, schoben sich ab 1972 futuristisch aussehende Aluminium-Wagen durch das neu eingeführte U-Bahn-System von San Francisco. Doch während sich die Welt weiterdrehte und das Silicon Valley die Welt veränderte, drehen sich die Uhren auf den Schienen San Franciscos langsamer. Und stellen die Techniker vor damals ungeahnte Herausforderungen.

Denn zum 50 Jahrestag des "BART" genannten U-Bahn-Systems zieht die Lokalzeitung "Mercury News" ein erschreckendes Fazit: Auch heute noch fahren Dutzende der allerersten damals eingeführten Wagen. Sie sind seit 50 Jahren im Einsatz und müssen mit Technik gewartet werden, die längst nicht mehr zu bekommen ist.

Wenn ein Zug ausfällt, holt Techniker John Allen einen uralten Laptop heraus, berichtet die Zeitung. Um das Fehlersystem der Züge auslesen zu können, braucht er Windows 98 - um dort das noch ältere DOS-System starten zu können. 

Auch Ersatzteile für die Züge sind ein echtes Problem. Weil alles selbst entworfen war, kann man nicht einfach auf Standard-Bauteile zurückgreifen. Stattdessen wird auf Schrottplätzen gesucht. "Wir sind wirklich mit Fotos zu verschiedenen Herstellern und bei Ebay unterwegs, um ausgefallene Teile zu finden." Als nach einem Wagenbrand der Boden getauscht werden musste, entwickelte man eigene Werkzeuge dafür. "Wir wissen oft nicht mal, wie die Teile heißen", so Allen.

Das Hauptproblem ist das ausgefallene Design der Aluminium-Züge. Mit ihren großen, leicht abgerundeten Fenstern und einem Betriebssystem, das nahezu autonomes Fahren ermöglicht, waren sie zwar das Vorbild für andere Systeme, etwa in Atlanta. Weil die aber eigene Wagen bauten, gibt es nahezu keine Teile, die man auch in San Francisco nutzen könnte.

So werden selbst defekte Züge noch ausführlich auseinander geschraubt, um die Teile wieder verwerten zu können. Man habe eine einzige der kompliziert herzustellenden Glasscheiben als Ersatz, erklärt der Betreiber eines Zugdepots. "Die größte Herausforderung ist, Teile zu finden, die einfach nicht mehr hergestellt werden", sagt Mechaniker Mark Allen der Zeitung. Auf die Frage, für welche Teile das gilt, kommt eine klare Antwort: "so ziemlich alle".

Der Wartungsbedarf ist indes groß. Obwohl bereits ein Drittel der Flotte durch ein moderneres Modell ersetzt wurde, fahren immer noch 56 der 1972 angeschafften 450 Original-Wagen jeden Tag durch die Stadt. Der große Rest der Flotte ist zwar etwas neuer, stammt aber auch aus den siebziger und achtziger Jahren.

Für die Techniker bedeutet das, auch bei den Notebooks auf Ersatzteiljagd zu gehen. Schließlich wurde auch Windows 98 schon vor über 21 Jahren von Windows XP abgelöst. "Ich war in einem Ingenieurs-Büro und er hatte bestimmt 40 Uralt-Rechner herumliegen", berichtet Allen. "Ein Teil wird aus dem einen geklaubt, ein anderes aus dem zweiten und so weiter. Nur um einen Laptop am Laufen zu halten."

In den nächsten Jahren sollen die alten Züge endlich in Rente geschickt werden. Mit einem Milliarden-Programm arbeitet die Stadt daran, die Flotte mit modernen Wagen zu ersetzen. Die alten sollen verschrottet werden, einige sind schon für Museen, als Attraktion in einem Biergarten und ähnliches eingeplant. "Es macht mich schon etwas traurig", gibt Allen zu. "Aber raus mit dem Alten, rein mit dem Neuen."

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